In Missen im Oberallgäu entwickelte ein pfiffiger Braumeister eine Versuchsapparatur zur ersten mobilen Brauerei der Welt weiter, schaffte es ganz nebenbei ins Guinnessbuch der Rekorde und macht seither handwerkliche Braukunst für alle erlebbar. Überall und im Braugasthof Schäffler in Missen. Einmal im Monat wird dort beim Sudabend live gebraut. Ein Spektakel, das man gesehen haben muss.
Braugasthöfe stehen für Althergebrachtes und Überliefertes, für einen Blick zurück. Trends, Innovationsgeist und Zukunftsmusik sucht man woanders, denn Tradition und Handwerk gehen damit nur am Rande einher. Dachte ich. In Missen wurde ich auf charmante Art eines Besseren belehrt.
„I bin der Flo“, begrüßt mich Florian Wittmann und streckt mir sympathisch die Hand entgegen, als ich ihm mit der Kamera in der Hand erklären will, warum ich den weiten Weg nach Missen gekommen bin. Bereitwillig gibt er Auskunft über alles, was ich wissen will, während er akribisch die Apparatur poliert, die am Abend die Hauptrolle spielen wird. Flo ist Brauer und wird heute maßgeblich das Live-Programm gestalten. In jedem routinierten Handgriff offenbart sich auch eine gehörige Portion Respekt vor der stolz glänzenden Vorrichtung, die sein einstiger Ausbilder und Braumeister Dieter Graßl vor Jahren ersonnen und in vielen Hundert Stunden zum Leben erweckt hat.
Eine magische Anziehungskraft geht von den beiden Kupferhauben aus, die beinahe in einer Puppenstube Platz hätten und doch als Sudkessel und Läuterbottich das Herz einer voll funktionsfähigen, mobilen Brauerei sind. Bis zum Zapfhahn am anderen Ende dieses technischen Wunderwerks sind es nur zwei Meter, die Rollen unter dem Edelstahlrahmen versprechen Beweglichkeit in jede Richtung. Gerade will ich mich in Details der Knöpfe, Ventile und Leitungen vertiefen, als sich die massive Gasthoftür öffnet und die ersten Gäste mit fröhlichen Gesichtern zielstrebig auf einen gedeckten Tisch zusteuern. Jetzt geht es Schlag auf Schlag.
Innerhalb von Minuten füllt sich der gemütliche, stilsicher dekorierte Gastraum mit durchwegs gut gelaunten Besuchern. Jung und Alt, Einheimische und Touristen von nah und fern finden zielsicher die reservierten Plätze. Mittendrin ein gut vorbereitetes Servicepersonal, das dem Ansturm in jeder Situation gewachsen bleibt. Hunger und Durst an den bis zum letzten Platz belegten Tischen bringen Kellnerinnen, Ausschank und Küche auf Hochtouren, doch die Gäste werden schnell versorgt und gehen ganz in ausgelassener Feierabendstimmung auf.
Frisch gezapft gehen die Schäffler-Bierspezialitäten im Sekundentakt über den Tresen, Premium Gold, Zwicklbier und alkoholfreie Durstlöscher wie die Holderweiße sind die Protagonisten, die Bierliebhaber ganz oben auf der Liste stehen haben. Wer sich noch nicht entscheiden will, ordert das Probier-Brettl mit fünf verschiedenen Biersorten im 0,1 Liter-Glas. Dazu gönnen sich hungrige Gäste Leckereien aus der Speisekarte, die nicht einfach auf dem Teller liegen, sondern als Gesamtkonzept auf den Tisch kommen. Da wird das Steak-Dreierlei im Holzwagerl aufgebaut, die fritierten Kartoffelecken kommen im liebevoll dem Friteusensieb nachempfundenen Körbchen. Und die Grillhaxe gehört natürlich auf ein rustikales Holzbrett, der Schnaps kommt gleich dazu.
Flo bereitet derweil konzentriert den Biersud zu. Der kleine Läuterbottich daneben hat seine Arbeit bereits getan und und die Maische von festen Bestandteilen des Malzes befreit. Die geläuterte Würze ist schon in die Würzepfanne zurückgeflossen und kocht jetzt für etwa zwei Stunden. Während Florian den Siegelhopfen wohl dosiert zugibt, nutzt wieder ein interessierter Gast die Gelegenheit zum Gespräch und lässt sich vom Fachmann in die Kunst des Brauens einweihen.
Immer wieder steht auch jemandem der Sinn nach einem Zwicklbier, das im Monat zuvor beim Sudabend gebraut worden ist und direkt vom Miniaturtank der mobilen Brauerei gezapft werden kann. Zu fortgeschrittener Stunde ist es schließlich Zeit für den letzten Akt des Brauvorgangs, die Zugabe der Hefe in den Gärbottich.
Unterdessen ist der Sudabend bei seinem Höhepunkt angelangt. Mit verwöhnten Gaumen und gestilltem Appetit lässt sich das Publikum gerne vom Repertoire der drei Musikanten mitreißen, die ihr gutes Gespür für das, was ankommt, virtuos und mit sichtlich viel Spielfreude umsetzen. Lachende Gesichter und klatschende Hände stecken jeden an, der vielleicht bisher noch nicht vollständig in der Partyzone angekommen war.
Berauscht von den kulinarischen und kulturellen Eindrücken dieses Abends beschließe ich, das Erlebte gleich in einer Reportage festzuhalten. Und erwische mich beim Schmunzeln, als ich über die Straße gehe und von weit hinter mir das Lachen aus dem Brauereigasthof höre. Ein Spektakel, das man erlebt haben muss, denke ich und plane meinen nächsten Besuch in Missen. Nicht als Geschichtenerzähler, sondern als Gast, mitten in der Partyzone.
„Wir sind ein Vier-Generationen-Haus“
Brauereigasthof-Chefin Claudia Graßl über den Schäffler-Familienbetrieb, der auch im Wohnhaus nebenan unter einem Dach gut miteinander auskommt.
Der Schäffler-Bräu in Missen
Aus dem Jahr 1468 stammen die ersten Hinweise auf den traditionsreichen Brauereigasthof, der damit beinahe so alt ist wie der Ort Missen selbst. 1868 baute der Bierbrauer und Wirt Johann Baptist Schäffler das Brauhaus zu Missen. Sein Sohn Franz Anton Schäffler übernahm 1900 die Brauerei und führte sie fast ein halbes Jahrhundert. 1914 wurde der Brauereigasthof wieder aufgebaut da er 1913 durch einen Großbrand vernichtet wurde. Bis 1958 leitete Luise Schäffler mit Unterstützung der Eheleute Graßl die Brauerei. Damals wie heute wurde mit Elan und Ehrgeiz gebaut, instandgesetzt und mit Weitsicht erweitert und modernisiert.
1958 übernehmen Hannes und Edeltraut Graßl die Brauerei und leiten sie bis 1984. Im Schäffler übernahm 1984 Sohn Hanspeter Graßl die Leitung der Brauerei. Mit Unterstützung seiner Frau Claudia und seines Bruders, Braumeister Dieter Graßl, lenkt er seitdem in der 5. Generation erfolgreich die Geschicke der Brauerei.
Seit 1996 betreibt die Familie Graßl den traditionsreichen Brauereigasthof in Eigenregie.