Eigentlich könnte sich Hans-Ludwig Straub jetzt ganz ruhig zurücklehnen und in den Tag hinein faulenzen. Vor kurzem ist er 65 geworden, den eigenen Braugasthof hat er an die nächste Generation übergeben. Aber wer ihn kennt, den Halu, der weiß, dass das nicht seine Sache ist. Grenzen testen schon eher. Mal sehen, was geht. Und immer das Angenehme daran entdecken. So entstand die Idee von Halus „Genießer-Tour“, die den Braumeister, Radsportler und Bierfan über 600 Kilometer an fünf Tagen vom oberfränkischen Memmelsdorf bis in die Schweiz führte. Mit dem Pedelec, wohlgemerkt.
Bei seiner Tour quer durch Süddeutschland, die Halu Straub oft über Dörfer und kleine Straßen abseits der üblichen Verkehrswege führte, lernte er die vielfältigen Regionen intensiver kennen, als es mit dem Auto möglich wäre. Auf seine ganz eigene Art beschreibt der langjährige Gastronom und geübte Menschenkenner Menschen, Landstriche und Erlebnisse aus der Perspektive des Aktivurlaubers. Freilich richtet sich seine Aufmerksamkeit dabei ganz besonders auf die Privaten Braugasthöfe entlang der Wegstrecke, die schon immer ein Spiegel des Menschenschlages in ihrer Region gewesen sind. Unter dem Strich ein Reisebericht, der zum Nachahmen einlädt und Lust auf mehr macht.
Tag 1
Von Memmelsdorf nach Reichelshofen
Was bringt einen 65-Jährigen dazu, eine Fahrradtour vom fränkischen Bamberg in die Schweiz zu unternehmen? Ganz einfach, bei einem Abendbier kam unser Sohn, der in der Schweiz arbeitet, auf die spinnerte Idee. Bei der ersten Beschäftigung mit der Reiseroute bemerkte ich, dass eigentlich in Tagesetappenabständen Private Brauereigasthöfe einen wunderbaren, bierigen Reiseverlauf versprachen.
Ausgangspunkt ist die alte Bischof- und Kaiserstadt Bamberg. Diese im Kern noch – historisch gesehen – intakte Altstadt zieht alljährlich Hunderttausende von Touristen an. Mittlerweile kommt zu all den historischen Gebäuden auch noch die hohe Brauereidichte in der der Stadt und im Umland hinzu. Gepaart mit der wohlschmeckenden fränkischen Küche und der sprichwörtlichen „geh weiter, bleib da“ Wirtshausmentalität der Franken, die an langen Holztafeln sitzend, jeden Fremden zum Dazusetzen auffordern.
So hat der Reisende schon zu Beginn vier Private Brauereigasthöfe in der Stadt und zwei weitere im nähernen Umland zur Auswahl, um sich für den Trip mental und kulinarisch zu stärken.
Von Memmelsdorf bis in den Aischgrund
Der Ausgangspunkt war letztendlich der Brauereigasthof Drei Kronen in Memmelsdorf. Dort kann man auch gerne sein Fahrzeug abstellen und sich auf die Reise machen. Von Memmelsdorf nach Bamberg führt neben der Kreisstraße ein gut ausgebauter Fahrradweg. Ohne Probleme, immer geradeaus kommt man zum Main Donau Kanal. Dort wechselt man auf den Main Donau Fahrradweg, der direkt neben der Wasserstraße verläuft. Oben pulsiert das Leben in der Kreisstadt, unten am Kanal ist es sehr ruhig.
1,7 km vor Strullendorf ist eine Brücke. Man kann wählen: rechts über diese Brücke und auf der anderen Seite des Main Donau Kanals weiter. Oder – geradeaus weiter – gut ausgeschildert umfährt man das Industriegebiet von Strullendorf, überquert die Schleuse. Bei beiden Möglichkeiten hat man wieder die Wahl: geradeaus weiter nach Hirschaid, oder rechts abbiegen zur Fähre Pettstadt. Diese ist unsere Entscheidung: Die Fähre! Unbedingt! Ein Fährmann, wie er im Buche steht. Geschickt transportiert er die Menschen mit ihren Fahrzeugen. Seit 1461 – also mehr als 500 Jahre gibt es diese Flußquerung bereits.
Am anderen Ufer angekommen, geht es links Richtung Pettstadt, auf der Keisstraße links zum Kreisverkehr und rechts abbiegen nach Erlach. 4,5 km sagt der Fahrradwegweiser. In Erlach links abbiegen Richtung Sassanfahrt. Rechts in die Ortschaft hinein, den Berg hoch und weiter Richtung Rothensand. Über die Höhe bis Schnaid und weiter nach Adelsdorf. Vorbei an den ersten Karpfenweihern. Der Aischgrund ist das größte Karpfenzucht- und Mästgebiet Europas. Hier sind auch die ersten, stakenden Störche auf Futtersuche zu sehen…
Zum Löwenbräu und in den "Kellerwald"
Durch Adelsdorf durch, ein ganz kleines Industriegebiet, links abbiegen (gut ausgeschildert) nach Neuhaus zum Brauereigasthof Löwenbräu der Familie Wirth. Im Sommer bieten die Wirths eine Besonderheit an: einen Kellerwald. Das ist nicht so einfach zu erklären: Vor Erfindung der Kühlmaschine war das Kühlhalten von Bier sehr aufwendig und arbeitsreich. Oft wurde in einem Hang nahe oder außerhalb der Ortschaft in einen Hügel, Hang oder Berg ein Stollen gegraben oder geschlagen. Darin konnte das Bier längerem Zeitraum gut gekühlt gelagert werden. Diese Kontruktion hieß dann „Keller“. Da man sich auf den Keller setzte um im Sommer eine frische Maß zu genießen, sagt man in Franken heute noch „Wir gehen auf den Keller“ und meint eigentlich einen Biergarten. Bei Wirts ist dieser Keller im Wald, da geografisch kein Hügel vorhanden war. Inhaltlich aber ist es gleich.
Die Wirth’s verfügen über ca. 25 Gästezimmer, alle hervorragend in Schuss, teilweise ganz neu. Alle mit drei Sternen klassifiziert. Wenn man die Tour etwas abändert und von Bamberg über die Fränkische Schweiz nach Neuhaus fährt – ein idealer Übernachtungsbetrieb.
Landwehr-Bräu: Legendäre "blaue Zipfel"
Weiterfahrt über einen Nebenweg nach Gremsdorf und hinein nach Höchstadt. Das letzte Stück muss man auf der B470 fahren, bitte aufpassen. Über den Kreisverkehr an der Karpfenforschungsstation vorbei, Richtung Rothenburg ob der Tauber. Mehrmals wechselt der meist gut ausgeschilderte Fahrradweg die Straßenseite. Teilweise sehr gut ausgebaut, teilweise Wirtschaftswege der Landwirtschaft. Nur ein kleines Stück geschottert.
Auf einmal: ein aufgelassener Bahnhof, der trotz fehlender Geleise seine ursprüngliche Nutzung verrät. Heute ist darin ein Wirtshaus mit einem großen, überdachten Freisitz. Macht einen guten Eindruck. Die Tafel verkündet: Durchgehend warme Speisen.
Vorsicht in Neustadt an der Aisch. Sehr mangelhafte Ausschilderung des Aischtalradweges! Froh, die scheußlichen Werbeschilder entlang des Fahrradweges hinterlassen zu können führt der Weg weiter nach Bad Windsheim.
Ein kleines, historisches, aber sehr quirliges Städtchen, das mit dem Bau der Therme das goldene Los gezogen hat. Sehenswerte Innenstadt, gute Gastronomie, zum Beispiel „Storchen“ , der Familie Götz.
Weiter auf dem Aischtal-Fahrradweg, immer aufpassen, daß man in der Nähe der B470 bleibt. Der Tower des kleinen Flugplatzes Illesheim kommt in Sichtweite. Hier sind die Apache Helicopter der Heeresflieger der US Streitkräfte stationiert.
Der Fahrradweg führt immer an der B470 entlang, außer kurz vor der A7: Nach Steinach hineinfahren (das Hinweisschild fehlt), in Steinach links abbiegen, die B470 überqueren, unter der A7 durch, gleich rechts abbiegen und in der nächsten Ortschaft Endsee die B470 wieder überqueren. Den kleinen Hügel hoch und als Belohnung winkt schon die Brauereisilhouette der Landwehrbräu Reichelshofen, die erste Übernachtungsstation.
Zwischen Brauerei und Gasthof / Hotel ist schon ein Durchgang, man muss nicht ums Haus herumfahren. Im Wirtschaftsgebäude linker Hand ist ein Fahrradstall, mit Steckdose für den E-Bike-Akku zum Aufladen. Rechts ein kleiner Gastgarten. Der erste Eindruck: Gediegen! Der Eingang unterstreicht das Hotelklassifizierungsschild: ***S für Superior. Die kleine Rezeption funktioniert im vollen Umfang. Treppe hoch zum Gästezimmer. Das ganze Haus strahlt eine gediegene, gut bürgerliche Atmosphäre aus.
Zum Abendessen im Wirtsgarten lasse ich mir erst einmal die Bierspezialitäten der Landwehrbräu schmecken. Ein feines Pils. Dazu einen legendären „blauen Zipfel“. So heißen die Bratwürste in Franken, die nicht gebraten, sondern im Zwiebel-Essig Sud erhitzt werden. Da die Bratwürste im Landwehrbräu überdimensionale Ausmaße haben, finde ich es sehr gastfreundlich, dass man auch ein einzelnes Exemplar ordern kann.
Zum Essen lasse ich mir das Landwehrbräu „Dunkel“ schmecken. Ein richtig fränkischer Biertyp, kräftig und würzig. Nicht mit Aromen überladen. Es passt bestens zu meinem Abendessen: Ein Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln. Serviert in höchster Güte. Ich denke, dass das auch die Zukunft der regionalen Gastronomie sein wird. Einfache Gerichte, aber in exzellenter Qualität zubereitet und serviert.
Tag 2
Reichelshofen bis Untergröningen
Nach einer guten Nacht und einem mehr als anständigen Frühstück aufsatteln. Das erste Stück des Weges führt über die relativ stark befahrene Staatsstraße 2419 nach Steinsdorf. Ab dort ein schöner Fahrradweg ins mittelalterliche Rothenburg ob der Tauber. Der Fahrradweg durch Rothenburg ist lückenhaft bis gar nicht ausgeschildert. Man muss entweder öfters fragen, oder öfters die analog oder digitale Landkarte zu Rate ziehen.
Endlich den richtigen Ausgang gefunden, geht ein schöner Radweg über Gebsattel, Diebach und Insingen nach Rot am See. So langsam verlasse ich das Landwehrbräu-Land, an den Wirtshäusern kommen jetzt öfters Werbeschilder anderer Brauereien zum Vorschein. Völlig überrascht von dem toll hergerichteten Bahnhofsvorplatz und dem schmucken Bahnhofsgebäude stelle ich fest, dass es sich wohl das Städtchen mit viel Geld geleistet hat, die Immobilie und den Umgriff zu erneuern. Weiter geht es in Richtung Kirchberg an der Jagst.
Entlang der Jagst Richtung Ilshofen
Für mich auffallend: Auf diesem Streckenabschnitt hat jedes Dorf einen hübsch hergerichteten Gasthof oder Wirtshaus, wie der goldene Ochse, ein historisches Gebäude mit modernem Anbau. Viele Ferienwohnungen und Urlaub auf dem Bauernhof. Hier im Hohenlohischen sind die Äcker viel größer im Zuschnitt als in Oberfranken.
Die Jagst begleitet den Fahrradweg (oder umgekehrt?), in Kirchheim an der Jagst jage ich den riesigen Felsen hinauf, oben eine Altstadt mit hübschen, historischen Gebäuden und einem Schloss. Mit trockener Zunge radle ich auf den Brauerei Gasthof Adler zu. Halt, das stimmt was nicht: mit traurigen Augen schauen mich die vorhanglosen Wirtshausfenster an: geschlossen: für immer. Es gibt aber genug Alternativen, um nach der Schloss- bzw. Burgbesichtigung einzukehren.
Weiter auf den windigen Hohenloher Höhen Richtung Ilshofen. Jetzt verstehe ich auch, warum sich hier so viele Windräder drehen. Eine enorme Windmenge ist unterwegs. Gott sei Dank geht es Richtung Ilshofen stetig abwärts. Und eine völlig neue Erfahrung: Ein Schild warnt vor „Eisabwurf“ von Windrädern, die nahe des Fahrradweges stehen. Na ja, zu der Eisabwurfsaison werden nicht soooo viele Radfahrer unterwegs sein.
Ilshofen, eine kleine Industriestadt, direkt an der Straß finde ich im Flair Park Hotel einen kleinen Biergarten, fünf Meter von der ruhigen Nebenstraße entfernt. Leiste mir einen sehr gut gebratenen Zwiebelrostbraten mit Spätzle, wie es sich gehört mit Nussbutter. Die nächste Brauerei wäre in Crailsheim gewesen. International und national, weniger regional, mit unüblichen Bierspezialitäten unterwegs.
Unzählige Hügel und eine Künstlerin mit Kettensäge
Nach dem Wiedereinstieg ins Radlerleben erneut der übliche Kampf um den Fahrradweg. Hier mache ich wieder die Entdeckung: Junge Leute braucht man gar nicht nach dem Wege fragen, die zücken alle gleich ihr schnurloses Handy. Ältere Menschen haben weitgehend die Umgebung im Kopf…..
Über Eckartshausen, Gaugshausen und Großaltdorf nach Vellberg. Im hübschen Tal ein Mineralbad – nicht zum Trinken, zum Baden. Schattige Anlage, scheint sehr gut besucht zu sein. Den Berg hoch zu der sehenswerte Höhenburganlage Vellberg. Einkehrmöglichkeit. Über unzählige Hügel (nach jedem erklommenen Gipfel winkt eine Abfahrt!) über Obersontheim nach Bühlerzell. Ein auffallend hergerichtetes Bürgerliches Haus winkt mit dem Schild: Gasthausbrauerei. Mist, schon wieder „closed“ Ich dachte Ruhetag, werde aber von Einheimischen informiert, dass der Betrieb im Moment ruht.
Auf der Hohenloher Höhe (das ist jetzt meine eigene, freie Bezeichnung für das Gelände zwischen Ilshofen und Untergröningen) werde ich aufgrund eines fehlenden Hinweisschildes in einen Bauernhof geleitet. Es hat sich aber rentiert. Ich treffe die freischaffende Künstlerin Hildegard Diemer. Sie geht mit einer Kettensäge einem riesigen Baumstamm zu Leibe. Man kann erahnen, dass die fertige, filigrane Figur einen Sämann zeigen wird. Hut ab, wenn ein zartes Wesen mit einem wuchtigen Werkzeug so behende umgeht.
Revolluzerbiere mit Naturhopfen vom eigenen Feld
Von hier aus sind es noch 4,5 Kilometer zum Ziel, der Lamm Brauerei in Untergröningen. Gefühlte sieben Hügel mit jeweils 700 Metern Steigung und Gefälle erwarten sieben Kocherreiter Pils. Na ja, am Ende des Radlertages mit 95 Kilometern (einschließlich 10 Kilometern Umweg) hat man solche Halluzinationen. Ich radle in den Betriebshof der Brauerei. Ein eilenden Schrittes vorbeiziehender Brauereimitarbeiter ruft mir zu, ob ich mein Fahrrad unterstellen möchte. Ohne Federlesens ist mein E-Bike in einem Abstellraum, gleich neben einem Kühlschrank. Der interessiert mich eigentlich weniger, aber er ist an einer Doppelsteckdose angeschlossen. Fein, guter elektrischer Saft strömt in meinen Akku.
Annette, die Schwester des Brauereibesitzers Andreas, begrüßt mich, wir kennen uns gefühlte 20 Jahre. Die Wirtsstube ist schwäbisch schlicht eingerichtet, mehrere Räume hintereinander. Heute sitzen alle Gäste aber auf dem Gesteigbiergarten. Auch recht.
Der Eingang zu den Gästezimmern befindet sich abseitig am Sudhaus entlang, die Treppe hoch. Das Treppenhaus wird durch Glasbausteine erhellt. Die sehr sauberen Gästezimmer bieten alles, was man für eine Nacht benötigt.
Ein Plakat „Lamm Saison“ sticht mir ins Auge, als ich im Wirtshaus Platz nehme. Bevor ich aber in meinem Geschmackszentrum die Lammbratenschublade öffnen kann, klärt mich Chef Andreas Kunz auf: Die Brauerei bringt in diesem Jahr vier(!) Revoluzzerbiere auf den Markt. Ein IPA – in einer schwäbischen Dorfbrauerei. Andreas! Ich verstehe: die Saison bezieht sich auf die vier im Laufe des Jahres produzierten Kreativbiere. Im Herbst will er sogar einen Sud „Grünhopf“ machen – mit gaaaanz frischen Naturhopfen aus dem eigenem Hopfenfeld. Hat man da noch Töne?
Ich entscheide mich für eine schwäbische Brotzeit mit regionalen Spezialitäten. Ehrlicherweise ist der Käseanteil niedrig. Was ja auch der Wahrheit entspricht. Das Kochertal hat sich bis jetzt nicht mit Käsespezialitäten bekannt gemacht. Dafür gibt das Schwäbisch-Hällische Schwein die Rohstoffe für eine Super Brotzeit. Der dazu servierte selbstgebrannte Obstler rundet das Ganze ab.
Auffallend ist, daß mehrmals am Abend das Publikum wechselt. Mehrere verschiedene Gästegruppen tauchen auf, verzehren, verschwinden wieder. Ein echtes Dorfzentrum im besten Sinne des Wortes. Schon Schiller sagte: „Speis und Trank ist freudenleer, wenn der Zuspruch des Wirtes fehlt“ In diesem speziellen Falle muss man Wirtin sagen. Annette wirbelt und sorgt sich um alles. Die handfesten Bedienungen eifern ihr nach.
Mehr als gesättigt vom Bier und der wunderbaren Brotzeit steige ich in die Höhe zu den Gästezimmern und falle in einen traumlosen Schlaf.
Tag 3
Von Untergröningen nach Autenried
Bei allerbestem Radlerwetter Verabschiedung von Andreas, Chef eins in der Lammbrauerei, und seiner Schwester Annette, Herz des Brauereigasthofes, zur Weiterfahrt. Übrigens: Chef zwei ist der Senior, Altmeister Kunz. Und Annettes Sohn, der fünfjährige Andreas, fühlt sich heute schon als Chef drei. Die beste Voraussetzung, um auch einmal später wirklich Chef zu werden. Die Brauer-Gene halt.
Mal rechts, mal links von der Kraftfahrtstraße. Mal näher, mal weiter weg von dem kleinen Flüsschen führt der gut ausgebaute Kocherradweg durch eine wunderschöne Landschaft nach Abtsgemünd.
Grünland, Weltfirmen und die blaue Ente
Aalen, eine der ersten ewig langen Ortsdurchfahrten. Hier ist schon mächtig Industrie am Werke. Beidseitig säumen kleine Handwerksbetriebe, solide Mittelständler und Weltfirmen wie Hartmann (Pflaster und Co) in Heidenheim die Straße. Teilweise durch Grünland erreicht man Unterkochen und Oberkochen. Weiter geht es Richtung Heidenheim. Dank schlechter Ausschilderung gerate ich mit meinem E-Bike in eine Fussgängerzone und erlebe die schwäbische Sparsamkeit, welche man auch anderen angedeihen lässt.
Endlich durch Heidenheim durch, weiter nach Herbrechtingen. Meine Reiseroute schickt mich Richtung Dettingen. Im Herbrechtinger Ortsteil Anhausen führt der Weg durch eine Engstelle, man biegt anschliessend rechts ab und findet eine Speisewirtschaft „Zum Tor Anhausen“. Ein kleiner Wirtsgarten, eine kleine Speisenkarte. Ich finde auch ein fahrradgerechtes Nudelgericht und ein alkoholfreies Hefeweizen.
Wichtiger Zwischenhinweis: In keiner von mir besuchten Gaststätte war es ein Problem, für eine Stunde den Akku aufladen zu lassen. Nur zur Sicherheit. Immerhin bedeutet das 25 Kilometer mehr Reichweite!
Puh, nach dem üppigem Mittagessen ein steiles Stück bergauf. Über Hausen dann Richtung Süden. Riesige Maisfelder, sehr große Ackerflächen – und: windig!! Hier werden die Windräder richtig in Umdrehungen versetzt. Ein ganzes Stück bergab erreiche ich Leipheim. Hier findet man das Heimat- und Bauernkriegsmuseum. Hier hat eine „Rentnertruppe“ das ehemalige Wirtshaus „blaue Ente“ renoviert und eine in vollem Umfang funktionsfähige Brauerei in Betrieb gehalten. Ab und zu gönnen sich die Rentner dann einen Sud „Selbstgebrautes“. Schön anzusehen auch das Brauergärtlein im Umgriff des Uraltanwesens.
Schlossbrauerei Autenried: Topmodern & vom Halm ins Glas
Die Höhen hinter mir lassend fahre ich weiter Richtung Günzburg. Vor der A8 links abbiegend, ein Stück neben der B10 bis nach Bubenheim. Über Großkotz und Oxenbrunn erreiche ich den Privaten Brauereigasthof „Schloßbrauerei Autenried“. Ein niegel-nagel-neuer Hotelbetrieb, mit vier Sternen klassifiziert. Vor vier Jahren hat die Familie Feuchtmayer mit viel Sachverstand, Herzblut und wahrscheinlich auch sehr vielen Euros das alte, heruntergekommene Schloss in einen modernen Hotelbetrieb verwandelt.
Auch hier völlig Problemlose Unterbringung meines E-Bikes in einem abgeschlossenem Raum mit der wichtigen Steckdose für meinen Akku. Nach der Tagesleistung von 98 km gönne ich mir eine Erholung im hauseigenem Swimmingpool mit Meersalz. Vor der Entscheidung stehend eine Runde in der Sauna oder eine Runde Hefeweizen im Wirtsgarten entscheide ich mich für letzteres. Der Biergarten ist rappel voll, der Service gehörig unter Druck. Dank der drahtlosen Bierbestellungsweitergabe erhalte ich aber schnell das gewünschte Getränk.
Zum Abendessen wähle ich eine Portion gesottenes Angus Rindfleisch vom hier gemästeten Rind. Es ist das allerbeste Stück Rindfleisch, das mir jemals serviert wurde. Perfekt im Biss, würzig und geschmackig. Die Beilagen ausgezeichnet. Hut ab vor der Fleischqualität und den Kochkünsten des Schloßbrauereigasthof Küchenchefs.
Die Schlossbrauerei Autenried ist sehr breitaufgestellt. Ein Vollsortimenter mit Bier und alkoholfreien Getränken. Eigene Landwirtschaft. Die Braugerste wird selbst angebaut. Wo gibt es das noch? Sozusagen vom Halm ins Glas, alles in eigener Hand. Das gibt es wirklich nicht mehr oft.
Das Hotel ist sowohl für Tagungs- als auch Familiengäste ausgelegt. Alle Fachleute sind der Meinung, das funktioniert nicht. Tut es aber hier. Dazu eventuell noch eine Reisegruppe zum Essen und Einheimische, die den Brauereigasthof als Bierschwemme betrachten. Die Chefin, Frau Feuchtmayer managt das alles. Rudolf Feuchtmayer ist der Brauereichef und Kreisrat. Er begrüßt charismatisch seine Gäste und platziert diese, und wenn’s sein muss schenkt er auch ein und hilft im Service aus. So funktionieren Familienbetriebe.
Tag 4
Autenried bis Tettnang
Ein Super Frühstücksbüfett, schnell noch ein Erinnerungsfoto, Fahrradtaschen aufgeschnallt und Akku kontrolliert: alles bestens. Auch das Wetter. Schnell erreiche ich Weißenhorn, ein Marktflecken mit einem schönen Marktplatz. Weiter Richtung Schwendi durch gigantische Maisfelder. Man denkt, es wird gar nichts mehr anderes angebaut, bis mir auffällt, daß die Getreidefelder schon gedroschen und teilweise schon umgeackert sind und somit nurmehr Mais steht. Irgendwo zwischen Vörhingen und Bellenberg komme ich auf der hügeligen Landschaft flott vorwärts– dank bestens ausgebauter Fahrradwege (Mercie, Landkreis Günzburg!) erreiche ich die Jetzhöfe, eine Reiter-Pferde-Anlage. Fehlen nur noch die Indianer …
Über die Europäische Wasserscheide nach Ummendorf zum Bräuhaus
Auf dem neben mir verlegtem Geleis zischt ein mit Doppellok bestückter Personenzug vorbei. Aufschrift: ÖBB. Schnell anhalten und wieder den Standort überprüfen. Noch Bayern? Schon Baden Württemberg? oder verfahren und schon in Austria? Hat sich ein Lokführer verfahren? Ich lasse die Frage offen. Als ich das Gleis überquere, stelle ich fest, daß ich bei Ingoldingen an der Europäischen Wasserscheide bin.
Weiter geht’s auf almartigen Wiesen – Tälern – Bewaldeten Stücken zur Gemarkung Ochsenhausen. Laut Routenvorschlag soll ich hier abbiegen und durch den Wald der Gemarkung Wasenburg fahren. In der Realität stoppt mich eine (vermutlich durch Hochwasser) herausgerissene, kleine Brücke. Ein Durchkommen mit beladenem E-Bike ist unmöglich. Also das ganze wieder zurück und den ordentlichen Fahrradweg nutzen.
In der nächsten Ortschaft ein Umleitungsschild. Straße nach Ummendorf – mein Mittagsziel – gesperrt. Ich überlasse meinen Knöpfen die Entscheidung, die Umgehungsstraße zu nehmen oder darauf zu bauen, dass man mit dem Fahrrad die Baustelle passieren kann. Die Knöpfe sagen: geradeaus.
Holla, jetzt geht es aber mehrere Kilometer bergab. Ich habe Glück, die Baustelle hat eine Fußgängerbrücke, die ich problemlos nutzen kann. Links nach der Brücke ist der Fuhrpark der Brauerei „Bräuhaus Ummendorf“ abgestellt. Sonja Dobler, die Ehefrau von Stefan, dem Braumeister und Chef begrüßt mich, den Überraschungsgast.
Die Doblers haben aus einem verschlafenem, schwäbischen Landgasthof einen Ruhe ausstrahlenden Brauereigasthof gemacht. Das Marketing der Flaschenausstattung wurde vor einiger Zeit komplett erneuert, Im Gasthof wurde die Renovierung angegangen und der Umgriff des Betriebes ist eine wahre Augenweide. Eine erfrischend kleine Mittagskarte signalisiert, daß hier nicht regeneriert sondern alles frisch zubereitet wird. Ein täglich wechselndes Mittagsgericht schont auch den Geldbeutel.
Obstbaumplantagen und betörender Hopfenduft
Von Ummendorf aus geht es an einem Badesee vorbei weiter über Winterstettenstadt und Wattenweiler nach Aulendorf. Von da geht es nun langsam bergab Richtung Bodensee. Links der Bundesstraße läuft ein Fahrradweg, leider nur geschottert. Die ersten Obstbaumanlagen tauchen auf. Ach ja: Obst vom Bodensee.
Ich fahre an einem gut besuchten Badesee vorbei. Entweder habe ich das Schild verpasst, oder es war wieder einmal keines da. Auf einmal bin ich an der Kläranlage von Ravensburg gelandet. Ich kämpfe mich zurück auf die Fahrradstrecke und erreiche Ravensburg Zentrum. Am unbrauchbarsten sind die Schilder mit dem Hinweis „alle Richtungen! Da ist einem Radfahrer wirklich nicht geholfen. Außerhalb von Ravensburg: Das erste Hopfenfeld. Tettnang kann nun nicht mehr weit sein. Ich stelle mein Fahrrad ab und laufe in das Hopfenfeld. So kurz vor der Ernte: ein betörender, ja betäubender Hopfenduft. Bester Tettnanger Aromahopfen. Hier könnte ich stundenlang schnüffeln. Ein Selfie als Erinnerungsfoto.
Gleich daneben eine riesige Apfelplantage. Ich schaue mir den Baumschnitt genau an. Meine nächste Apfelbaumpflanzung wird auch aus Spindelbäumen bestehen. Gigantisch sind die Ausmaße der Apfel- und Birnenäcker. „Tettnang 10 km“ sagt ein Schild. Gott sei Dank. Mein Sattel wird so langsam weich. Durch den Hopfengeruch animiert hab ich schon den Pilsgeschmack auf der Zunge liegen.
Da das Gelände immer noch leicht abfällt, rausche ich an den landwirtschaftlichen Betrieben vorbei und erreiche Tettnang, in Bierbrauerkreisen weltweit ein guter Name für besten Aromahopfen.
Tettnanger Krone: Glücklicher Spagat im lebendigen Ortskern
Mein Ziel, Der Private Brauereigasthof „Krone“ der Familie Tauscher, liegt im Stadtkern, gleich hinter dem historischen Tor. Ein schöner Marktplatz ist von vier gastronomischen Betrieben umrahmt. So stellt sich ein Gastronom oder Bierbrauer einen Ortskern vor. Das Leben brodelt, die Gäste sitzen zusammen und genießen Speis und Trank. Ein stetes Kommen und Gehen. Oder besser Flanieren – sehen und gesehen werden. Geht auch in der Kleinstadt.
Schnell die Packtaschen aufs Gästezimmer im zweiten Stock gebracht. Oh la la, da war ein Bierliebhabender Einrichter am Werk! Statt Kettenhoteleinerlei erwartet den Gast eine sehr dekorative Bieranmutung im Betthaupt, an den Wänden und in einem kleinen Schaukasten. Originell.
Nach dem ersten Begrüßungsbier im Steinkrug, frisch, herb und süffig, lese ich die mutige Speisenkarte. Mutig deswegen, weil die Familie Tauscher in Ihrer Karte auch offen Zubereitungsarten ausspricht: „Kartoffelsalat: Kartoffel kochen, heiß schälen, schnippeln, mit Fleischbrühe und Gewürzen mischen, und abschmecken.“ Oder: „Deckel vom Eimer lupfen und entnehmen.“ Das sitzt.
Das Seeweizen, ein obergäriges Bier mit Biomalz gebraut, hat deutliche Bananenaromen, wie es sich heute für ein Weissbier gehört. Schaum, Temperatur, Kohlensäuregehalt. Alles perfekt. Ich entscheide mich für ein „Kotelette mit schöner Salatplatte“.
Fritz Tauscher, der smarte Wirt kommt vorbei. Er verkürzt mit die Zeit bis die schöne Salatplatte kommt. Nebst dem Kotelette. Das sich als Riesenapparat herausstellt. Schön durchgebraten, auch am Knochen. Sehr gute Fleischqualität. Nach 122 Kilometern Radltour ist die Menge für mich kein Problem. Aber wenn hier so ein schmächtiger Großstädter kommt?
Die Tettnanger Hopfenkrone – ein mit „Saphir“ (eine spezielle Hopfensorte) kalt gehopftes Bier Pilsner Brauart. Für mich als „hophead“ eines der besten Biere meiner Radltour. Die Krone Krone schafft (wie andere Privaten Brauereigasthöfe auf meiner Tour) den Spagat zwischen Historie und Zukunft. Zwischen teurer einzukaufenden regionalen Produkten und dem Preisbewusstsein der Gäste.
Tag 5
Von Tettnang in die Schweiz nach Roggwil
Ich muss mich sputen, weil die Bodenseeüberfahrt in Friedrichshafen in einer Stunde beginnt, mein Routenplaner sagt 30 Minuten Fahrzeit zur Fähre in Friedrichshafen voraus. Morgentoilette, Fahrrad aufgesattelt, freundliche Verabschiedung von den Wirtsleuten und los geht’s, die letzte Etappe.
Ich bin wieder einmal von dem Hopfenaroma, das von den Hopfenfeldern bis zum Radweg riecht, hellauf begeistert. Ich muss nochmal anhalten und mitten im „Nonnenacker“ einatmen. Nonnenacker nennen die Hopfenbauern ihre Hopfenäcker, weil nur die jungfräulichen, unbefruchteten weiblichen Hopfendolden ein grünes Pülverlein bilden, das uns Biertrinker so begeistert. Sind auf dem Acker männliche Pflanzen und die Dolden werden befruchtet, bilden sie diesen Aromastoff namens Lupulin eben nicht.
Mit der Bodenseefähre nach Romanshorn
Vor lauter Hopfenbegeisterung muss ich einen Hinweis an einer Abzweigung übersehen haben. Nachdem ich ein Straßenschild mit der Entfernungsangabe nach Kressbronn sehe und von Friedrichshafen weit und breit kein Hinweis zu sehen ist, keimt in mir der Verdacht, daß ich möglicherweise nur noch das Heck der abgefahrenen Bodenseefähre erblicken werde. Und so kommt es, obwohl ich sofort umkehre, und mit Volldampf auf Friedrichshafen zufahre – die Fähre ist weg.
Die Stunde Wartezeit überbrücke ich mit Geschenkeeinkäufen für die Daheimgebliebenen. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte das ja auch gar keinen Sinn gemacht. Und so konnte ich mir auch ein klein bisschen den netten Hafen und die anschliessende Fußgängerzone anschauen. Komischerweise ist mir da keinerlei Brauereiwerbung aufgefallen. Normalerweise hat immer in der jeweiligen Stadt eine Brauerei die Marketinghoheit.
Von freundlichen Schweizer Bootsleuten eingewiesen, legt das Boot zu der ca. 50 Minuten dauernden Überfahrt ab. Die Besatzung eines Kleinbusses einer freiwilligen Feuerwehr in Casualbekleidung und Bierflaschen in der Hand lässt die Vermutung zu, daß es sich bei dieser Truppe nicht um einen durch Feuer hervorgerufenen Löscheinsatzes handelt.
Im Schweizer Romanshorn angekommen radle ich ohne Passkontrolle Richtung Arbon. Irgendwie ist alles gemächlicher, alles strahlt Ruhe aus. Die Autos sind viel gemütlicher unterwegs. Ich wechsle auf die andere Straßenseite und nach dem Hypermodernen Industriebau der Autobau AG biege ich rechts ab. Entgegen meiner Erwartung ist in der Autobau AG keine Produktionsstätte exklusiver Fahrzeuge zuhause sondern ein Automobilmuseum!
Durch das Minidorf Salmsach die Schulstraße hoch Richtung Ärdhuuse. Hier treffe ich auf ein Schweizer Elektro Postfahrzeug. Ein Dreirad, mit genügend Platz für Akkumulator und Auslieferungsgüter. Ich darf auf Anfrage das Fahrzeug auch fotografieren.
Zum Abschluss "Nüdli" und ein "Gold" in der huus braui
In Egnach rechts abbiegen auf einer Nebenstraße namens Hegi und an der dritten Straße links abbiegend kommt man nach Roggwil. Am Markplatz ist ein kleines Schloss, daneben, etwas geduckt, der Eingang in die Huus braui unseres Schweizer Kollegen Walter Tobler. Ein alerter Schweizer Gastronom, der vor einigen Jahren bei einer Motorradtour die Idee hatte, in der Schweiz – eigentlich nur noch Heineken und Carlsberg Bier-Land – eine eigene, kleine, aber feine Brauerei zu errichten. Und es hat funktioniert.
Walter hat ein kleines Imperium aufgebaut. Mittlerweile ist er Biersommelier und Präsident von GastroSuisse in der Ostschweiz. Seine Lebensgefährtin, die Marianne, leitet den Brauereiausschank mit tatkräftigem Servicepersonal. Walters Sohn Christian mit Ehefrau Ramona bewirtschaften das Speiselokal „Linde“ gleich um die Ecke. Ein typischer Schweizer Gebäudestil. Die Einrichtung schlicht, aber gediegen.
Wir sitzen im Wirtsgarten und nehmen ein kleines Mittagessen ein. Walters Sohn und Küchenchef empfiehlt uns zum Hauptgang „Nüdli“ mit Ragout – einer Hackfleischsoße, aber ohne Tomatenmitwirkung. Vorher serviert uns die Chefin eine klare Fleischbrühe. Einfach Klasse. Die Hörnchennudeln sind genau richtig gekocht, haben noch einen kleinen „Biss“ und das Ragout ist perfekt abgeschmeckt. Danke für diese einfache, aber köstliche Mahlzeit.
Zum Abschluss der Fahrt kommt sicher noch eine Einkehr in der huus braui, um das von dem fränkischen Braumeister Jörg hergestellte Huus brauui Gold zu genießen.